Leben mit Multiplem Myelom – Ein Doppelinterview

Leben mit Multiplem Myelom: Zwischen Therapiealltag und Lebensqualität

Das Multiple Myelom ist eine bislang unheilbare Erkrankung1, die das Immunsystem schwächt – moderne Therapien können dazu beitragen, die Lebensqualität zu bewahren. Wir haben anlässlich des Blutkrebs-Awareness-Monats September mit Stefan Schwarz, Autor des Buchs „Bis ins Mark“, und Marion Polinski, Vertreterin der Patientenorganisation AMM-Online, darüber gesprochen, wie die Lebensqualität trotz Multiplen Myeloms aufrechterhalten werden kann und welche Rolle Patientenorganisationen dabei spielen.

Das Multiple Myelom ist eine lebensverändernde Diagnose. Die heutige Vielzahl an Therapiemöglichkeiten ermöglicht jedoch eine individuelle Behandlung, die ein Fortschreiten der Erkrankung verzögern und den Verlauf mildern kann.1 Doch Therapie allein ist nicht alles. Lebensqualität im Alltag, emotionale Stabilität, Selbstwirksamkeit und soziale Unterstützung sind Faktoren, die darüber entscheiden, wie gut Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie dem Multiplen Myelom zurechtkommen. Neben medizinischer Versorgung sind es deshalb auch persönliche Strategien, der Austausch mit anderen Betroffenen und unterstützende Angebote von Patientenorganisationen, die einen Unterschied machen können.

Wir haben mit Stefan Schwarz über seine Erfahrungen, seine Strategien im Alltag und seinen Weg zur Offenheit im Umgang mit der Erkrankung gesprochen. Ergänzend gibt Marion Polinski von der Patientenorganisation AMM-Online Einblicke, welchen Einfluss Austausch, Beratung und praktische Alltagshilfen auf die Lebensqualität haben können. Wir haben mit Stefan Schwarz über seine Erfahrungen, seine Strategien im Alltag und seinen Weg zur Offenheit im Umgang mit der Erkrankung gesprochen. Ergänzend gibt Marion Polinski von der Patientenorganisation AMM-Online Einblicke, welchen Einfluss Austausch, Beratung und praktische Alltagshilfen auf die Lebensqualität haben können.

Stefan Schwarz, Betroffener

Foto: Stefan Schwarz, Betroffener

Herr Schwarz, Sie sind ein gefragter Autor, leben seit mehreren Jahren mit der Diagnose Multiples Myelom und haben Ihre Erfahrungen in Ihrem Buch „Bis ins Mark“ verarbeitet. Wie haben Sie die Zeit der Diagnose und den Beginn Ihrer Behandlung persönlich erlebt und wie sind Sie damals mit dieser neuen Lebensrealität umgegangen?

Ich bin, auch wenn es etwas seltsam klingt, einigermaßen froh über die Diagnose gewesen, weil sie eine Zeit der Ungewissheit beendete. Ich hatte Symptome, die darauf hindeuteten, dass eine schwere gesundheitliche Störung vorliegt. Extremer Nachtschweiß, Schüttelfrost auch an sehr warmen Tagen, vor allem nach dem Genuss hochkalorischer Lebensmittel. Mir ging es sehr schnell um die Rückgewinnung von Handlungsspielräumen. Was kann ich jetzt tun? Ich möchte nicht verhehlen, dass ich dabei auch schwarze Gedanken hatte, aber insgesamt habe ich mich relativ schnell darauf eingestellt, auf diesen Krebs mit einem noch stärkeren Fokus auf gesunde und gesundheitserhaltende Lebensführung zu reagieren. Eine große Rolle spielte auch das Erlebnis der Wirksamkeit der Therapien. Ich habe Medikamente bekommen, die schon am ersten Tag im Krankenhaus die Symptomatik komplett gestoppt haben. Hinzu kam, dass ich fast ausschließlich mit Ärzten zu tun hatte, die Zuversicht und Optimismus ausstrahlten. Ich halte das heute noch für einen wichtigen Faktor bei der Wiederaufrichtung meines Lebensmutes.

 

Welche spezifischen Herausforderungen des Multiplen Myeloms (z. B. Knochenschmerzen, Müdigkeit) beeinträchtigen Ihre Lebensqualität aktuell am meisten, und wie gehen Sie damit um? Gibt es Strategien oder Routinen, die Sie bewusst einsetzen?

Ich habe mit wenig Problemen zu kämpfen. Knochenschmerzen habe ich keine, und hatte, wenn man von der Wiederanlauf-Phase nach der Hochdosis- und Stammzelltherapie absieht, auch nie wirklich welche. Ich habe mit Schwächephasen zu tun, aber da ich Freiberufler bin, kann ich mich auch mal zehn Minuten ausruhen, wenn der Stecker gerade gezogen scheint. Ansonsten betrachte ich die Schwäche als physiologisches Problem und versuche, dem auf diese Weise abzuhelfen, in dem ich zum Beispiel morgens kalt dusche, eine Dreiviertelstunde bei Sonnenaufgang durch den Park gehe, mich zuckerarm ernähre und fünf Mal in der Woche Sport mache, vor allem intensives, aber nicht schweres Krafttraining. Ich nehme Vitamin D, B12 und Spermidin und Magnesium, um dem Stoffwechsel aufzuhelfen.

 

In Ihrem Buch schreiben Sie offen über Ihre Krankheitserfahrung. Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Geschichte zu teilen und welche Reaktionen haben Sie aus ihrer Stammleserschaft und dem persönlichen Umfeld erhalten?

Mein Verleger, mit dem ich in der Zeit der Diagnose / Therapie öfter telefonierte, riet mir zu diesem Buch. Er hatte in unseren Gesprächen das Gefühl, dass ich einen Zugang zu dieser Erkrankung habe, der anders ist als viele Krebs-Geschichten, in denen Leid und das mögliche Ende des Lebens im Vordergrund stehen, und etwas neugieriger und heiterer daherkommt. Ich habe ihm mit etwas Zögern zugestimmt, dass ich diesen Krebs nicht nur als Schicksalsschlag und Beleidigung sehe, sondern als Aufgabe, Frieden zu schließen mit dem eigenen Leben, was für mich viele gute Auswirkungen auf Körper und Seele und sogar auf meine Familie hatte und hat.
Die Reaktion der Leserschaft war durchweg positiv. Ich habe dieses Buch auf einer immer noch andauernden Lese-Tour in Auszügen vorgelesen und habe mit vielen an Krebs Erkrankten oder deren Angehörigen zu tun bekommen, was mir eine großartige und warmherzige Verbundenheit beschert hat.

 

Was möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben, die gerade erst mit der Diagnose konfrontiert wurden oder sich mitten in einer belastenden Phase befinden?

Man sollte eine Krebsdiagnose und die entsprechenden Therapien mit ruhiger Fassung angehen.
Wahrscheinlich wird jeder Zweite in seinem Leben mal mit einer Krebs-Diagnose konfrontiert werden, einfach wegen der höheren Lebenserwartung und der modernen Lebensweise. Anders als vor Dekaden ist Krebs heute in sehr vielen Fällen kein Todesurteil. Ich rate dazu, den Krebs bei der Diagnosestellung nicht pauschal als tödliches Unheil wahrzunehmen, sondern als Wecksignal. Aus mehreren Gründen: Erstens ist das Instrumentarium der modernen Onkologie und Pharmazie heute imstande, selbst sehr schwierige Krebsarten zu behandeln und im besten Falle zu „chronifizieren“, also in etwas zu verwandeln, das in Schach gehalten werden kann. Zweitens kann der Schock über die Diagnose, die Depression, in die ein Diagnostizierter oft stürzt oder auch von seinen entsetzten Mitmenschen gestürzt wird, das Immunsystem schwächen. Ein gutes Immunsystem ist aber das, was es jetzt braucht. Eine heitere, zuversichtliche Einstellung kann einen Unterschied machen oder ganze Verläufe positiv beeinflussen.

Nach den spannenden persönlichen Einblicken von Stefan Schwarz richten wir den Blick nun auf die Sicht der Patientenorganisation AMM-Online.

Marion Polinski, AMM-Online (Patientenorganisation)

Foto: Marion Polinski, AMM-Online (Patientenorganisation)

Frau Polinski, als Vertreterin einer sehr aktiven Patientenorganisation für Menschen mit Multiplem Myelom wissen Sie aus erster Hand, wie vielfältig die Herausforderungen im Alltag mit dieser Erkrankung sind. Welche konkreten Angebote können Patienten-organisationen machen, um Betroffene in ihrem Leben mit Multiplem Myelom zu unterstützen – gerade auch mit Blick auf die Lebensqualität?

Als Patientenorganisation ist es unser Anliegen, Betroffene umfassend zu informieren, zu unterstützen und Impulse für mehr Lebensqualität zu geben. Außerdem möchten wir helfen, den Alltag für Betroffene und Angehörige planbarer, sicherer und hoffnungsvoller zu gestalten. Auf unserer Homepage finden sich Informationen zur Erkrankung, zu Therapien, zu laufenden Studien sowie zur  unterstützenden Komplementärmedizin und auch zu Veranstaltungen und Fortbildungen. In unserem rund um die Uhr erreichbaren Forum und in der monatlichen virtuellen Selbsthilfegruppe bieten wir Raum für Austausch, gegenseitige Stärkung und das Gefühl, nicht allein zu sein.

Wie kann der Austausch unter Betroffenen dazu beitragen, besser mit der Krankheit zurechtzukommen und positiver nach vorne zu schauen?

Der offene Austausch ist von unschätzbarem Wert, gibt Mut und vermittelt das Gefühl: Ich bin nicht allein, man versteht mich. Man lernt voneinander, teilt praktische Tipps im Umgang mit Nebenwirkungen oder im Alltag, und erfährt ganz konkret, wie andere ihre Lebensfreude bewahren oder auch wiedergewinnen. In den Geschichten und Krankheitsverläufen anderer entdeckt man neue Perspektiven und Hoffnung. So wird die Psyche gestärkt, damit die Betroffenen wieder nach vorne schauen können.

 

Welche konkreten Unterstützungsangebote zur Verbesserung der Lebensqualität haben sich in Ihrer Erfahrung als besonders wertvoll erwiesen (z. B. Bewegungsprogramme, Ernährungsberatung, psychologische Unterstützung)?

Nach unserer Erfahrung gibt es viele Unterstützungsangebote, die spürbar zur Lebensqualität von Menschen mit Multiplem Myelom beitragen. Ein speziell angepasstes Bewegungsprogramm fördert nicht nur die Kraft und Mobilität, sondern auch das seelische Wohlbefinden, kann Nebenwirkungen lindern, macht aktiver und selbstbewusster. Auch eine gezielte Ernährungsberatung spielt eine wichtige Rolle, gerade wenn Patienten durch die Therapie unter Appetitlosigkeit oder Durchfall und Geschmacksveränderungen leiden. Psychoonkologische Begleitung und der Austausch mit anderen Betroffenen bieten emotionale Entlastung und neue Perspektiven im Umgang mit der Erkrankung. Unsere Informations- und Austauschformate unterstützen dabei, gut informiert Therapieentscheidungen zu treffen und selbstbestimmt durchs Leben mit dem Multiplen Myelom zu gehen.

 

Angesichts der Fortschritte in der Myelom-Therapie in den letzten Jahren, die zu verbesserten Überlebensraten geführt haben: Welche spezifischen Anforderungen sehen Sie für zukünftige Behandlungsansätze, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten?

Die Fortschritte in der Therapie des Multiplen Myeloms und die steigende Lebenserwartung mit der Erkrankung sind beeindruckend, machen Mut und geben Hoffnung. Für die Zukunft wünschen wir uns Behandlungen, die an Fortschritte anknüpfen und nicht nur das Leben verlängern, sondern auch  langfristig lebenswert erhalten. Die Therapien sollten möglichst zielgerichtet, verträglich und alltagstauglich sein. Es werden neue Strategien zur Linderung langanhaltender Nebenwirkungen benötigt, aber auch Therapien, die von Anfang an schonender sind. Wir brauchen personalisierte Medizin, die stärker auf den individuellen Krankheitsverlauf und die Lebenssituation abgestimmt werden kann. Zur frühzeitigen Anpassung der Therapie und psychoonkologischen und sozialen Maßnahmen sollte ein engmaschiges Monitoring von Anfang an in die Behandlung integriert sein.

Referenzen

[1] Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patienten mit monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) oder Multiplem Myelom, Langversion 1.0, 2022, AWMF-Registernummer: 018/035OL, https://www.leitlinienprogrammonkologie.de/leitlinien/multiples-myelom (Zugriff am 11.07.2025).

MAT-DE-2503584 - V1.0 - 08/2025